Schnupperstückchen

  • Moin Gemeinde.
    Hab mal was angefangen, ist ein Versuch.
    Ein paar Auszüge aus den Anfängen stelle ich hier mal rein.
    Reaktionen wären hilfreich, bitte nur ernstgemeinte Zuschriften.
    Danke. :square:



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    Zitat

    Sonntags gingen wir in die Kirche, Anfangs musste ich noch bei meinem Vater im Hauptschiff sitzen, später durfte ich in ein Nebenschiff seitlich des Altars wechseln. Von dort aus konnte ich Sabine Blaschik sehen, meine heimliche Liebe. Sie saß mir gegenüber, 30 m weit weg und unerreichbar. Als ich sie eines Tages mit einem anderen Jungen spielen sah, brach mein Herz zum ersten Mal und ich verlor die Lust am Kirchgang. Sabine Blaschik sehen zu müssen, war eine Qual, ich bekam Bauchschmerzen und mein Brustkorb fühlte sich an, als stecke er in einem Schraubstock, den ein widerlicher Kerl mit der Teufelsfratze vom Badezimmerboden langsam zudrehte. Jeden Sonntagmorgen um kurz vor Zehn rumorte mein Magen, mein Darm drückte, ich musste auf die Toilette. Dort konnte ich mich aber nicht vor dem Kirchgang drücken, immer wurde ich gezwungen, mich in das Nebenschiff zu setzen und jenseits des Altars meine verlorene Liebe zu sehen. Um meine Qualen zu vergrößern wurde Sabine immer hübscher und aus dem Mädchen wurde langsam ein Teenager, erste Rundungen zeigten sich unter ihrer blütenweißen Bluse.


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    Zitat

    Ich merkte plötzlich, daß etwas vor sich ging, wurde schrecklich nervös und rief nach dem Bauern. Glasschröder kam mit seinem Sohn Hans in den Kuhstall, schaute sich die Kuh an und sagte etwas zu Hans. Ich verstand kein Wort von dem Gemurmel, der Bauer war in einen tiefen bayerischen Dialekt verfallen für dessen Verständnis ich einen mehrwöchigen Sprachkurs an einer ethnologischen Fakultät absolviert haben müsste. Hans nahm zwei Stricke von einem Haken in einem der Stützbalken im Stall an deren Enden sich jeweils eine Schlaufe und ein Holzgriff befanden. Der alte Glasschröder stand inzwischen neben der Kuh und strich ihr murmelnd über den Rücken und die Kuh schnaufte heftig. Ich stand ein paar Meter weg vom Geschehen, sah fasziniert zu was dort passierte. Ein Gefühl von Intimität nahm von mir Besitz, Neugier, Scham und ein weiteres Gefühl mischten sich. Dieses andere Gefühl konnte ich nicht zuordnen, es hatte etwas mit Sabine Blaschik und dem Schwimmunterricht zu tun, aber über all diesen Bildern schwebte noch etwas. Etwas, das ich nicht fassen, nicht verstehen konnte. Es war mir peinlich, dort zu stehen und zuzuschauen. Durfte ich dort sein? Sollte ich mich besser heimlich aus dem Stall stehlen und zur Pension von Frau Wernemoser gehen? Vielleicht waren meine Eltern und Brüder ja gerade dort und ich konnte mich ihnen anschließen für heute. Ich wollte aber nicht weg, wollte zusehen, was im Stall passierte, ich spürte, daß ich etwas Außergewöhnliches erlebte. Plötzlich muhte die Kuh keuchend, scharrte wieder mit den Hufen und ich konnte sehen, wie unter ihrem Schwanzansatz ein kleiner Huf erschien. Hans griff zu, hielt diesen Huf fest und band die Schlaufe des einen Strickes um die Fessel des Kalbes. Er schob eine Hand in die Kuh hinein, der alte Glasschröder hielt inzwischen den Holzstab am anderen Ende des Strickes fest, der Strick spannte sich. Hans zog ein weiteres Bein aus der Kuh, befestigte daran den zweiten Strick und dann zogen die beiden Bauern an den Stricken. Die Beine des Kalbes glitten aus der Kuh heraus, ich sah zu, wie der Kopf aus dem Leib der Kuh kam, dann folgte der Rest des Kalbes. Die Bauern mussten hart arbeiten um das Kalb aus seiner Mutter zu zerren, ich hörte ihren Atem, sah die Muskeln an den Unterarmen anschwellen und den Schweiß auf ihre Stirnen treten. Die Kuh keuchte heftig und ein seltsamer Geruch lag in der Luft, eine Mischung aus Stroh, Gras, Tier, Schweiß und Blut. War dies der Duft des Lebens? Vor meinen Augen wurde ein Lebewesen aus dem schützenden Bauch der Mutter gerissen und in die Welt fallen gelassen. Das Kalb klatschte aus der stehenden Kuh heraus auf den mit Stroh bedeckten Stallboden, ein Schwall Fruchtwasser schoss hinterher.
    Die Bauern banden die Stricke von den Beinen des Kalbes und fingen an, das mit Schleim bedeckte Tier mit Stroh abzureiben, bis die Kuh sich dem Kalb zu wandte und es mit ihrer langen Zunge trocken zu lecken. Immer wieder stupste sie ihr Kind mit der Nase an und gab seltsame Geräusche von sich. Es war kein Muhen, das ich hörte, eher ein Brummen, ein Murmeln, ein grunzendes Geräusch. Ich war wie berauscht von all den Eindrücken, die auf mich einprasselten, den Gerüchen, den Geräuschen, den Bildern. Dann winkte mich Hans heran und bedeutete mir, das Kalb mit Stroh abzureiben, um der Mutter zu helfen. Das große Tier wirkte erschöpft aber unsagbar glücklich. Nie zuvor hatte ich ein Tier mit derartigen Gefühlen in Verbindung gebracht, hatte nie darüber nachgedacht, ob Tiere überhaupt Gefühle haben. Dieser Kuh sah man deutlich an, wie sie sich fühlte, die Augen drückten Erschöpfung und Glück, Stolz und Vertrauen aus. Wieder hatte ich den Eindruck unglaublicher Intimität, die Kuh teilte uns Menschen in dem Stall ihre innersten Gefühle mit.


    :square:

    ...und als ich wanderte durch einen dunklen Forst, boten sich mir zwei Wege dar. Ich wählte den, der weniger ausgetreten war...

  • Zitat von Klaus W.

    [...] Wer, wie ich, gern aus Buchstaben und Bildern im Kopf Geschichten formt, kennt diese Phasen der Unfähigkeit, etwas zu Papier zu bringen. Es sind quälende Tage, Wochen oder gar Monate, ich fühle mich dann abgeschnitten von meinem Innersten. Ich finde den Zugang zu meiner Seele nicht, tappe in finsterer Nacht umher.
    Doch genug von der dunklen Seite, das Orm durchströmt mich, die Tastatur ruft, nein, sie schreit nach mir. [...]


    Ignoriere niemals diesen Schrei ... er lässt einen atmen. Und die unispirierten Phasen sind nichts anderes als das Gegenpendel zur Überflutung, die gelegentlich genau so "unproduktiv" sein kann. Ich kenne die dunklen Seiten des Lebens aus beruflicher und persönlicher Erfahrung - Schreiben hat mir immer ein unverzichtbares Ventil geboten. Möge der Orm immer mit Dir sein.

    [center]Does Not Play Well With Others!


    ... Geradeausverbaldrifter und Ideallinienkreuzer[/center]

  • Mir gefällts!!
    Ich hätte jetzt auf jeden Fall noch lange weiter gelesen, wenn nicht der Text ausgegangen wäre :)
    Toll wie du beschreiben kannst was du gesehen, erlebt und dabei gefühlt hast.
    Respekt. :!:
    ... aber das weiß doch hier schon jeder ;)

  • Zitat

    [center]Auf dem Schulhof kam es immer wieder zu Raufereien, mal wurden während des Unterrichts entstandene Differenzen ausgefochten, mal entstanden die Differenzen in Gesprächen oder Spielen in den Pausen. Die Jungen mit ihrem Imponiergehabe waren leicht reizbar, keiner wollte zurückweichen, keiner eine Schwäche eingestehen. Ein Blick zur falschen Zeit konnte schon ausreichen, eines der Alphatiere zu reizen, ein falsch gewähltes Wort, ein unüberlegter Scherz konnten eine Maßregelung der körperlichen Art nach sich ziehen. Ich schaffte es immer wieder, mich mit Worten zu retten, allerdings konnte auch ein Gnadenakt demütigend sein. Sich dem Kampf nicht zu stellen galt als Schwäche, geachtet wurden die Schüler, die ihre Stellung mit Fäusten verteidigten. Wir Schwächeren bewegten uns auf dem Pausenhof wie Gazellen in der Serengeti: übernervös, immer auf der Hut, bereit, zu fliehen. Manchmal wurde einer von uns zum Opfer, die anderen wandten sich ab und schlichen möglichst unauffällig davon. Insgeheim träumten wir davon, uns einem Angriff zu stellen und den Gegner zu besiegen. Das war die einzige Möglichkeit, in der Hierarchie aufzusteigen, mit meinen Scherzen konnte ich mich vor Angriffen schützen, Alphatier konnte ich so aber nicht werden. Im Prinzip war ich zu unschuldig, um beachtet zu werden, niemand fürchtete sich vor mir, als Opfer war ich aber nicht wichtig genug. Mich zusammenzuschlagen hätte keinerlei Beachtung bei den anderen gefunden, es war also reizlos. Gefahr drohte mir nur von denjenigen, die sich in der Gewalt noch üben mussten, dies aber nicht bei den harten Jungs wagten. Wer mich schlug, erreichte höchstens die mittlere Stufe in der Hierarchie, riskierte aber eine Niederlage, weil mich niemand so recht einschätzen konnte. Mein Mundwerk kündete von einem gesunden Selbstvertrauen, ich legte mich verbal sogar mit Lehrern an ohne dafür sanktioniert zu werden. Für meine Mitschüler war es nicht abzuschätzen, woher dieses Selbstvertrauen rührte. Hätten sie gewusst, daß ich dieses Selbstvertrauen nur spielte, es vorspiegelte um mich zu schützen, wäre ich zum Opfer aller geworden.
    Doch dann kam der Tag, an dem ich übertrieb. Im Unterricht machte ich einen Scherz über einen Fehler, den Sabine Fasel gemacht hatte, ich weiß nicht mehr, worum es ging, aber ich plapperte mal wieder drauflos und hatte die Lacher auf meiner Seite. An Sabines Blick erkannte ich, daß ich zu weit gegangen war. Sie wohnte mit ihrer Mutter und drei Brüdern in einem Viertel, in dem die soziale Unterschicht lebte, ihr Vater und ihr ältester Bruder saßen wegen diverser Vergehen im Knast.
    Nach dem Pausenklingeln ging ich aus dem Klassenzimmer. Sabine stand auf dem Flur, ich wollte an ihr vorbei die Treppe hinunter gehen. Sie stellte sich mir in den Weg und schlug zu. Ich sah die Faust kommen, wollte noch ausweichen, war aber zu überrascht, zu langsam. Die Faust landete auf meiner Nase, traf mich mit einer Wucht, die ich nicht erwartet hätte. Ich schmeckte Blut, Sterne zerplatzten vor meinen Augen, mir wurde schlecht, ich ging in die Knie. Meine Nase blutete, meine Oberlippe war aufgeplatzt, mir tat alles weh, schlimmer aber war die Schmach, von einem Mädchen niedergeschlagen zu werden. Mir schossen die Tränen in die Augen, ich nahm meine Tasche und rannte davon. Für die nächsten Wochen war ich abgestempelt, ein Schwächling. Niemand redete mehr mit mir, hinter meinem Rücken wurde über mich gelacht, man nannte mich Heulsuse oder Mädchen, irgendjemand taufte mich Claudia, ich war für's erste erledigt.[/center]

    ...und als ich wanderte durch einen dunklen Forst, boten sich mir zwei Wege dar. Ich wählte den, der weniger ausgetreten war...