Moin Gemeinde.
Hab mal was angefangen, ist ein Versuch.
Ein paar Auszüge aus den Anfängen stelle ich hier mal rein.
Reaktionen wären hilfreich, bitte nur ernstgemeinte Zuschriften.
Danke.
ZitatAlles anzeigen[center]Zwischen Überholspur und Standstreifen
Eine fiktionale Autobiographie
Diese Geschichte entspringt einem Rehabilitationsaufenthalt im Frühling des Jahres 2012 in der Kurklinik Mühlengrund in Bad Wildungen/Reinhardshausen.
Ich war nach einem langen Burn out in eine Depression verfallen und brauchte eine Auszeit um mein Leben neu zu ordnen und mich selbst neu zu orientieren. Die Beschäftigung mit meinem bisherigen Leben half mir dabei, ich spürte wieder die Lust zu schreiben, die mir in der letzten Zeit abhanden gekommen war. Die Idee entstand, mein Leben nachzuzeichnen. Das Leben eines normalen, durchschnittlichen Menschen ist jedoch keine Vorlage für mitreißende Geschichten, meines jedenfalls nicht. Ich habe es deshalb hier und da etwas „gepimpt“, habe einiges weggelassen, einiges einfach dazu erfunden. Faszinierend war für mich dabei, wie sich Bruchstücke der Erinnerung zueinander fügen und Bilder im Kopf entstehen lassen, wenn man zulässt, dass dies geschieht. Lange Wanderungen und Meditation haben mir geholfen, diese Bilder entstehen zu lassen, die eine oder andere Flasche Bier sicherlich auch. Nach einer langen, dunklen Phase durchströmte mich wieder das Orm, wie es Walter Moers in seinen Geschichten um Hildegunst von Mythenmetz und Zamonien nennt. Orm ist die Muse, die sich mir wild küssend an den Hals wirft. Orm ist gut, Orm gefällt mir. Wer, wie ich, gern aus Buchstaben und Bildern im Kopf Geschichten formt, kennt diese Phasen der Unfähigkeit, etwas zu Papier zu bringen. Es sind quälende Tage, Wochen oder gar Monate, ich fühle mich dann abgeschnitten von meinem Innersten. Ich finde den Zugang zu meiner Seele nicht, tappe in finsterer Nacht umher.
Doch genug von der dunklen Seite, das Orm durchströmt mich, die Tastatur ruft, nein, sie schreit nach mir.[/center]
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ZitatAlles anzeigenIch wurde an einem heißen Sommertag in einer Klinik geboren, in der heute alkoholkranke Menschen therapiert werden. Nomen est Omen?
Es war der 14. Juni 1963, als meine Mutter mich in diese Welt entließ, ich brachte stolze 5250 Gramm auf die Waage, hatte einen sehr dunklen Teint und lange, schwarze Haare. Die Hebamme trug mich über die ganze Station um mich bei den anderen Frauen als "den kleinen Italiener" vorzustellen.
Ich war der Sohn einer Hausfrau und eines Arbeiters und hatte zwei Brüder. Ich verlor einen Bruder durch einen Autounfall, später starb ein weiterer Bruder kurz nach der Geburt noch im Krankenhaus, er kam mit einem Loch in der Herzscheidewand zur Welt. Als ich 9 Jahre alt war, kam ein weiterer Bruder zur Welt.
Wir hatten damals noch kein Auto, ich erinnere mich an Ausflüge zu fünft auf der Zündapp meines Vaters. Die täglichen Besorgungen erledigte meine Mutter mit dem Fahrrad, ein Kind auf dem Gepäckträger, eines in einer Sitzschale an der Lenkeraufnahme, die Einkaufstaschen hingen rechts und links am Lenker.
Ich hatte zwei Stofftiere, Schwänli und Bärli (Schwänli war ein grauer Affe, dem ein Auge fehlte, Bärli ein brauner Bär mit gelben Innenohren) und wir bekamen von einem fahrenden Händler Zuckerrübensirup im Eimer geliefert. Hinter dem Haus, in dem wir eine Wohnung im ersten Stock bewohnten, lag ein großes Feld, auf dem ein Bauer regelmäßig pflügte, säte und erntete. Ich stand am Fenster unseres Kinderzimmers und sah ihm bei der Arbeit zu. Unseren Wellensittich stellten wir oft mit seinem Käfig auf den Balkon, ihm gefiel das, laut schnatternd hüpfte er in seiner Behausung herum und spreizte die Flügel, um die warmen Sonnenstrahlen besser auffangen zu können. Dieses Freizeitvergnügen stellten wir aber ein, nachdem eines Tages ein Raubvogel auf dem Käfig landete und unseren Hansi in die Nähe eines Herzinfarktes brachte.
Vor unsere Haustür befand sich ein Wendehammer, in dem ich mit meinem Fahrrad erste Erfolge im Kurvenkratzen verbuchte. Wenn ein belastetes Pedal in der Kurve Bodenkontakt bekommt, hebelt es das Fahrrad ganz schön aus, mit Geistesgegenwart und Glück vermied ich frühe Asphaltflechten.
Mein Vater schlief oder arbeitete, meine Mutter putze, bügelte, kochte, kaufte ein und bezog die Betten mit frischer Wäsche. Mit meinem älteren Bruder zankte ich herum, meistens bis einer heulte und Mutter schlichten musste.
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ZitatSonntags gingen wir in die Kirche, Anfangs musste ich noch bei meinem Vater im Hauptschiff sitzen, später durfte ich in ein Nebenschiff seitlich des Altars wechseln. Von dort aus konnte ich Sabine Blaschik sehen, meine heimliche Liebe. Sie saß mir gegenüber, 30 m weit weg und unerreichbar. Als ich sie eines Tages mit einem anderen Jungen spielen sah, brach mein Herz zum ersten Mal und ich verlor die Lust am Kirchgang. Sabine Blaschik sehen zu müssen, war eine Qual, ich bekam Bauchschmerzen und mein Brustkorb fühlte sich an, als stecke er in einem Schraubstock, den ein widerlicher Kerl mit der Teufelsfratze vom Badezimmerboden langsam zudrehte. Jeden Sonntagmorgen um kurz vor Zehn rumorte mein Magen, mein Darm drückte, ich musste auf die Toilette. Dort konnte ich mich aber nicht vor dem Kirchgang drücken, immer wurde ich gezwungen, mich in das Nebenschiff zu setzen und jenseits des Altars meine verlorene Liebe zu sehen. Um meine Qualen zu vergrößern wurde Sabine immer hübscher und aus dem Mädchen wurde langsam ein Teenager, erste Rundungen zeigten sich unter ihrer blütenweißen Bluse.
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ZitatIch merkte plötzlich, daß etwas vor sich ging, wurde schrecklich nervös und rief nach dem Bauern. Glasschröder kam mit seinem Sohn Hans in den Kuhstall, schaute sich die Kuh an und sagte etwas zu Hans. Ich verstand kein Wort von dem Gemurmel, der Bauer war in einen tiefen bayerischen Dialekt verfallen für dessen Verständnis ich einen mehrwöchigen Sprachkurs an einer ethnologischen Fakultät absolviert haben müsste. Hans nahm zwei Stricke von einem Haken in einem der Stützbalken im Stall an deren Enden sich jeweils eine Schlaufe und ein Holzgriff befanden. Der alte Glasschröder stand inzwischen neben der Kuh und strich ihr murmelnd über den Rücken und die Kuh schnaufte heftig. Ich stand ein paar Meter weg vom Geschehen, sah fasziniert zu was dort passierte. Ein Gefühl von Intimität nahm von mir Besitz, Neugier, Scham und ein weiteres Gefühl mischten sich. Dieses andere Gefühl konnte ich nicht zuordnen, es hatte etwas mit Sabine Blaschik und dem Schwimmunterricht zu tun, aber über all diesen Bildern schwebte noch etwas. Etwas, das ich nicht fassen, nicht verstehen konnte. Es war mir peinlich, dort zu stehen und zuzuschauen. Durfte ich dort sein? Sollte ich mich besser heimlich aus dem Stall stehlen und zur Pension von Frau Wernemoser gehen? Vielleicht waren meine Eltern und Brüder ja gerade dort und ich konnte mich ihnen anschließen für heute. Ich wollte aber nicht weg, wollte zusehen, was im Stall passierte, ich spürte, daß ich etwas Außergewöhnliches erlebte. Plötzlich muhte die Kuh keuchend, scharrte wieder mit den Hufen und ich konnte sehen, wie unter ihrem Schwanzansatz ein kleiner Huf erschien. Hans griff zu, hielt diesen Huf fest und band die Schlaufe des einen Strickes um die Fessel des Kalbes. Er schob eine Hand in die Kuh hinein, der alte Glasschröder hielt inzwischen den Holzstab am anderen Ende des Strickes fest, der Strick spannte sich. Hans zog ein weiteres Bein aus der Kuh, befestigte daran den zweiten Strick und dann zogen die beiden Bauern an den Stricken. Die Beine des Kalbes glitten aus der Kuh heraus, ich sah zu, wie der Kopf aus dem Leib der Kuh kam, dann folgte der Rest des Kalbes. Die Bauern mussten hart arbeiten um das Kalb aus seiner Mutter zu zerren, ich hörte ihren Atem, sah die Muskeln an den Unterarmen anschwellen und den Schweiß auf ihre Stirnen treten. Die Kuh keuchte heftig und ein seltsamer Geruch lag in der Luft, eine Mischung aus Stroh, Gras, Tier, Schweiß und Blut. War dies der Duft des Lebens? Vor meinen Augen wurde ein Lebewesen aus dem schützenden Bauch der Mutter gerissen und in die Welt fallen gelassen. Das Kalb klatschte aus der stehenden Kuh heraus auf den mit Stroh bedeckten Stallboden, ein Schwall Fruchtwasser schoss hinterher.
Die Bauern banden die Stricke von den Beinen des Kalbes und fingen an, das mit Schleim bedeckte Tier mit Stroh abzureiben, bis die Kuh sich dem Kalb zu wandte und es mit ihrer langen Zunge trocken zu lecken. Immer wieder stupste sie ihr Kind mit der Nase an und gab seltsame Geräusche von sich. Es war kein Muhen, das ich hörte, eher ein Brummen, ein Murmeln, ein grunzendes Geräusch. Ich war wie berauscht von all den Eindrücken, die auf mich einprasselten, den Gerüchen, den Geräuschen, den Bildern. Dann winkte mich Hans heran und bedeutete mir, das Kalb mit Stroh abzureiben, um der Mutter zu helfen. Das große Tier wirkte erschöpft aber unsagbar glücklich. Nie zuvor hatte ich ein Tier mit derartigen Gefühlen in Verbindung gebracht, hatte nie darüber nachgedacht, ob Tiere überhaupt Gefühle haben. Dieser Kuh sah man deutlich an, wie sie sich fühlte, die Augen drückten Erschöpfung und Glück, Stolz und Vertrauen aus. Wieder hatte ich den Eindruck unglaublicher Intimität, die Kuh teilte uns Menschen in dem Stall ihre innersten Gefühle mit.